5. PHARMAKOLOGISCHE EIGENSCHAFTEN
5.1 Pharmakodynamische Eigenschaften
Pharmakotherapeutische Gruppe: Zentral wirkende Sympathomimetika
ATC-Code: N06BA04
Wirkmechanismus
Methylphenidathydrochlorid ist ein leichtes ZNS-Stimulans. Der Wirkmechanismus bei der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) ist nicht bekannt. Methylphenidat wird als Hemmer der Wiederaufnahme von Noradrenalin und Dopamin in das präsynaptische Neuron angesehen und erhöht die Freisetzung dieser Monoamine in den extraneuronalen Raum. Methylphenidat ist ein Racemat des D- und L-Isomers. Das D-Isomer ist pharmakologisch wirksamer als das L-Isomer.
Klinische Wirksamkeit und Sicherheit
Kinder
In den ausschlaggebenden klinischen Studien wurde Methylphenidathydrochlorid bei 321 pädiatrischen Patienten untersucht, die bereits auf schnell freisetzende Methylphenidat-Zubereitungen stabil eingestellt waren, und bei 95 pädiatrischen Patienten, die vorher kein schnell freisetzendes Methylphenidat erhielten.
Klinische Studien bei pädiatrischen Patienten haben gezeigt, dass die Wirkung von Methylphenidathydrochlorid bis 12 Stunden anhielt, wenn es morgens einmal täglich eingenommen wurde.
Erwachsene
Eine kurzfristige Wirksamkeit wurde für Methylphenidat-Retardtabletten in einem Dosierungsbereich von 18 bis 72 mg/Tag nachgewiesen. Eintausendfünfhundertdreiundzwanzig (1.523) Erwachsene mit ADHS im Alter von 18 bis 65 Jahren wurden in fünf doppelblinden, Placebo-kontrollierten Studien über einen Zeitraum von 5 bis 13 Wochen untersucht. Die Methylphenidat-Retardtabletten wurden in zwei Studien mit fixer Dosierung und drei Studien mit flexibler Dosierung mittels DSM-IV-basierter Instrumente zur Bewertung des Schweregrads von ADHS-Symptomen bei Erwachsenen untersucht. In zwei Studien mit fixer Dosierung zeigten die Conner‘s Adult ADHD Rating Scales (CAARS), dass die Gesamtwerte der ADHS-Symptome von Baseline bis zum doppelblinden Endpunkt zurückgingen – ein Hinweis auf eine Verbesserung des Schweregrads der ADHS-Symptome. In einer Studie mit fixer Dosierung zeigten alle Dosisstufen der Methylphenidat-Retardtabletten im Vergleich zu Placebo eine klinisch signifikant bessere Symptomkontrolle (p < 0,05 für alle Dosisstufen), gemessen an einer Verringerung des CAARS-Gesamtscores. In der zweiten Studie mit fixer Dosierung erwiesen sich die Methylphenidat-Retardtabletten 72 mg/Tag, nicht aber 54 mg/Tag, als statistisch signifikant gegenüber Placebo im Hinblick auf die Verringerung des CAARS-Gesamtscores für ADHS-Symptome von Baseline bis zum doppelblinden Endpunkt bei erwachsenen Patienten mit ADHS (p-Wert 0,0024). In zwei Studien mit flexibler Dosierung waren die mittleren LS-Veränderungen des Gesamtscores in der Adult ADHD Investigator Symptom Rating Scale (AISRS) am Endpunkt gegenüber Baseline statistisch signifikant (Studie 1: p = 0,012; Studie 2: p < 0,001) für die Behandlung mit der Enddosis der Methylphenidat-Retardtabletten im Vergleich zu Placebo (Studie 1: −10,6 für die Methylphenidat-Retardtabletten vs. −6,8 für Placebo; Studie 2: −16,9 für die Methylphenidat-Retardtabletten vs. −12,0 für Placebo). In der dritten Studie mit flexibler Dosierung zeigten die Methylphenidat-Retardtabletten im Vergleich zu Placebo eine klinisch signifikant bessere Symptomkontrolle (p < 0,0001), gemessen an der Verringerung des CAARS-Gesamtscores. Die mittleren LS-Veränderungen des Gesamtscores für ADHS-Symptome (CAARS) -O:SV von Baseline bis zum Abschlussbesuch (Woche 8) betrug −10,9 in der Methylphenidat-Retardtabletten-Gruppe und −6,9 in der Placebogruppe (basierend auf der ITT-Population). In Studie 2 mit flexibler Dosierung war das Ausmaß der Verbesserung der AISRS-Gesamtscores in der Methylphenidat-Retardtabletten-Gruppe statistisch signifikant größer als in der Placebogruppe (p = 0,0037). Der LS-Mittelwert (95 % KI) der Differenz zu Placebo betrug −5,3 (−8,9, −1,7). In Studie 3 mit flexibler Dosierung war das Ausmaß der Verbesserung des CAARS-O:SV-Scores in der Methylphenidat-Retardtabletten-Gruppe statistisch signifikant größer als in der Placebogruppe (p = 0,0063). Der LS-Mittelwert (95 % KI) der Differenz zu Placebo betrug −3,9 (−6,6, −1,1). Erwachsene, die in vier Open-Label-Langzeitstudien über einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten mit Methylphenidat-Retardtabletten behandelt wurden, wiesen Verbesserungen hinsichtlich aller untersuchten Wirksamkeitsendpunkte auf, woraus sich eine stabile Wirkung hinsichtlich der Verringerung der ADHS-Symptome im zeitlichen Verlauf ergibt. In einer Open-Label-Studie in kommunalem Umfeld zeigte die Behandlung mit Methylphenidat-Retardtabletten über einen Zeitraum von bis zu 9 Monaten eine Verbesserung gegenüber Baseline hinsichtlich der mittleren Gesamteinschätzung der Wirksamkeit sowohl durch die Patienten als auch durch die Prüfer. In einer zweiten Studie, in der Erwachsene mit ADHS Methylphenidat-Retardtabletten bis zu ein Jahr lang in einer mittleren Enddosis von 67,4 mg/Tag erhielten, zeigten sich klinisch bedeutsame Verbesserungen der AISRS-Gesamtscores gegenüber Baseline mit einer mittleren Veränderung von −18,7 bei der Abschlussuntersuchung. In einer dritten Langzeitstudie über 48 Wochen wiesen Erwachsene mit ADHS, die Methylphenidat-Retardtabletten in einer mittleren Enddosis von 46,6 mg/Tag erhielten, eine Veränderung des mittleren DSM-IV-Gesamtscores für ADHS-Symptome (CAARS) um −17,2 am Endpunkt gegenüber Baseline auf. In der vierten Studie wurden die Methylphenidat-Retardtabletten in einer 52-wöchigen Open-Label-Studie bei Probanden untersucht, die zuvor eine Placebo-kontrollierte Kurzzeitstudie und eine kurzzeitige Open-Label-Verlängerung abgeschlossen hatten. Erwachsene mit ADHS, welche die Methylphenidat-Retardtabletten in einer mittleren Enddosis von 53,8 mg/Tag erhielten, wiesen im zeitlichen Verlauf stabile Wirkungen hinsichtlich der Verringerung der ADHS-Symptome auf. Der von den Prüfern bewertete CAARS-Score verbesserte sich während des gesamten Open-Label-Abschnitts und war am Endpunkt niedriger (mittlere Abnahme um 1,9 gegenüber Baseline).
5.2 Pharmakokinetische Eigenschaften
Resorption
Methylphenidat wird schnell resorbiert. Nach oraler Einnahme von Methylphenidathydrochlorid löst sich der Überzug der Tablette, so dass nach etwa 1 bis 2 Stunden eine initiale maximale Konzentration des Wirkstoffs erreicht wird. In den darauf folgenden Stunden wird das Methylphenidat aus den beiden inneren Kompartimenten schrittweise freigesetzt. Die maximalen Plasmakonzentrationen werden nach etwa 6 bis 8 Stunden erreicht. Danach sinken die Plasmakonzentrationen von Methylphenidat schrittweise ab. Bei einmal täglicher Einnahme minimiert Methylphenidathydrochlorid im Vergleich zu dreimal täglicher Einnahme von schnell freisetzendem Methylphenidat die Schwankungen zwischen den maximalen und minimalen Konzentrationen. Der resorbierte Anteil von Methylphenidathydrochlorid bei einmal täglicher Anwendung ist vergleichbar mit dem konventioneller schnell freisetzender Formulierungen, die dreimal täglich gegeben werden.
Nach der Gabe von Methylphenidathydrochlorid 18 mg einmal täglich bei 36 Erwachsenen wurden die folgenden Mittelwerte für die pharmakokinetischen Parameter ermittelt: Cmax 3,7 ± 1,0 (ng/ml), tmax 6,8 ± 1,8 (h), AUCinf 41,8 ± 13,9 (ng*h/ ml) und t1/2 3,5 ± 0,4 (h).
Nach einmal täglicher und nach wiederholter Gabe von Methylphenidathydrochlorid wurden keine Unterschiede in der Pharmakokinetik und somit keine signifikante Akkumulation des Wirkstoffs festgestellt. Nach wiederholter einmal täglicher Dosierung waren die AUC und t1/2 ähnlich wie nach der ersten Dosis Methylphenidathydrochlorid 18 mg.
Nach Einzelgaben von 18 bis 72 mg Methylphenidathydrochlorid pro Tag bei Erwachsenen verhielten sich Cmax und die AUCinf von Methylphenidat proportional zur Dosis.
Verteilung
Nach oraler Gabe sinken die Plasmakonzentrationen von Methylphenidat bei Erwachsenen biexponenziell. Die Halbwertszeit von Methylphenidat betrug bei Erwachsenen nach Einnahme von Methylphenidathydrochlorid ungefähr 3,5 h. Methylphenidat und seine Metabolite werden zu ungefähr 15 % an Plasmaproteine gebunden. Das scheinbare Verteilungsvolumen von Methylphenidat ist ungefähr 13 Liter/kg.
Biotransformation
Bei Menschen wird Methylphenidat hauptsächlich über Esterspaltung zu α-Phenylpiperidin-2-Essigsäure (ungefähr das 50-fache der unveränderten Substanz), die nur geringe oder keine pharmakologische Aktivität besitzt, metabolisiert. Bei Erwachsenen ist die Metabolisierung von einmal täglich angewendetem Methylphenidathydrochlorid zu α-Phenylpiperidin-2-Essigsäure ähnlich im Vergleich zu der Metabolisierung von Methylphenidat, das dreimal täglich eingenommen wird. Die Metabolisierung von Methylphenidathydrochlorid nach einmaliger und wiederholter Gabe ist vergleichbar.
Elimination
Nach Einnahme von Methylphenidathydrochlorid betrug die Eliminationshalbwertszeit von Methylphenidat bei Erwachsenen ungefähr 3,5 Stunden. Nach Einnahme werden innerhalb von 48 bis 96 Stunden ungefähr 90 % der Dosis mit dem Urin und 1 bis 3 % mit den Fäzes ausgeschieden. Geringe Mengen unveränderten Methylphenidats werden im Urin wiedergefunden (weniger als 1 %). Der Hauptmetabolit im Urin ist α-Phenylpiperidin-2-Essigsäure (60 – 90 %).
Nach oraler Gabe von radiomarkiertem Methylphenidat wurde beim Menschen ungefähr 90 % der Radioaktivität im Urin gefunden. α-Phenylpiperidin-2-Essigsäure war mit einem Anteil von ungefähr 80 % der Dosis der Hauptmetabolit im Urin.
Einfluss von Nahrungsmitteln
Nach einem fettreichen Frühstück und auf nüchternen Magen zeigten sich bei den Patienten keine Veränderungen in der Pharmakokinetik oder den pharmakodynamischen Wirkungen von Methylphenidathydrochlorid.
Spezielle Bevölkerungsgruppen
Geschlecht
Bei gesunden Erwachsenen betrug die mittlere AUCinf nach Dosiseinstellung 36,7 ng*h/ml bei Männern und 37,1 ng*h/ml bei Frauen. Zwischen den beiden Gruppen wurden keine Unterschiede festgestellt.
Rasse
Bei gesunden Erwachsenen, die Methylphenidathydrochlorid erhielten, war die AUC(0-inf) über die ethnischen Gruppen einheitlich, wobei die Probandenzahl möglicherweise nicht ausreichend war, um ethnische Unterschiede in der Pharmakokinetik aufzudecken.
Alter
Bei Kindern unter 6 Jahren wurde die Pharmakokinetik von Methylphenidathydrochlorid nicht untersucht. Nach der Einnahme von 18, 36 bzw. 54 mg waren die mittleren pharmakokinetischen Werte bei Kindern von 7 – 12 Jahren: Cmax 6,0 ± 1,3; 11,3 ± 2,6 bzw. 15,0 ± 3,8 ng/ml; tmax 9,4 ± 0,02; 8,1 ± 1,1 bzw. 9,1 ± 2,5 h und AUC0 – 11,5 50,4 ± 7,8; 87,7 ± 18,2 bzw. 121,5 ± 37,3 ng*h/ml.
Niereninsuffizienz
Über die Anwendung von Methylphenidathydrochlorid bei Patienten mit Niereninsuffizienz liegen keine Erfahrungen vor. Nach oraler Gabe von radiomarkiertem Methylphenidat beim Menschen trat eine intensive Metabolisierung ein, wobei ungefähr 80 % der Radioaktivität in Form von α-Phenylpiperidin-2-Essigsäure in den Urin ausgeschieden wurden. Da die renale Clearance keinen bedeutenden Ausscheidungsweg von Methylphenidat darstellt, wird erwartet, dass Niereninsuffizienz nur einen geringen Einfluss auf die Pharmakokinetik von Methylphenidathydrochlorid hat.
Leberinsuffizienz
Über die Anwendung von Methylphenidathydrochlorid bei Patienten mit Leberinsuffizienz liegen keine Erfahrungen vor.
5.3 Präklinische Daten zur Sicherheit
Karzinogenität
In Lebenszeitstudien zur Karzinogenität mit Ratten und Mäusen wurde nur bei männlichen Mäusen eine vermehrte Anzahl von malignen Lebertumoren festgestellt. Die Bedeutung dieser Ergebnisse für den Menschen ist nicht bekannt.
Methylphenidat beeinflusste nicht die Reproduktionsleistung oder die Fertilität, wenn in gering mehrfach erhöhter Menge der klinischen Dosis verabreicht.
Schwangerschaft-Embryonale/Fötale Entwicklung
Methylphenidat wurde nicht als teratogen bei Ratten und Kaninchen eingestuft. Bei Ratten mit mütterlicherseits toxischen Dosen wurde fötale Toxizität (z. B. totaler Wurfverlust) und Mütter-Toxizität beobachtet.
6. PHARMAZEUTISCHE ANGABEN
6.1 Liste der sonstigen Bestandteile
Tablettenkern
Lactose-Monohydrat
Hypromellose
Hochdisperses Siliciumdioxid
Magnesiumstearat (Ph.Eur.)
Methacrylsäure-Methylmethacrylat-Copolymer (1:1) (Ph.Eur.)
Methacrylsäure-Methylmethacrylat-Copolymer (1:2) (Ph.Eur.)
Triethylcitrat
Talkum
Fumarsäure
Filmüberzug
Kinecteen 18 mg Retardtabletten Poly(vinylalkohol)
Macrogol 3350
Talkum
Titandioxid (E171)
Eisen(III)-hydroxid-oxid × H2O (E172)
Eisen(III)-oxid (E172)
Kinecteen 27 mg Retardtabletten
Poly(vinylalkohol)
Macrogol 3350
Talkum
Titandioxid (E171)
Eisen(III)-hydroxid-oxid × H2O (E172)
Indigocarmin-Aluminiumsalz (E132)
Eisen(II,III)-oxid (E172)
Kinecteen 36 mg Retardtabletten
Poly(vinylalkohol)
Macrogol 3350
Talkum
Titandioxid (E171)
Kinecteen 54 mg Retardtabletten
Poly(vinylalkohol)
Macrogol 3350
Talkum
Titandioxid (E171)
Eisen(III)-oxid (E172)
Drucktinte
Schellack
Eisen(II,III)-oxid (E172)
Propylenglycol
6.2 Inkompatibilitäten
Nicht zutreffend.
6.3 Dauer der Haltbarkeit
2 Jahre
Haltbarkeit nach dem ersten Öffnen der Flasche:
Kinecteen 18 mg Retardtabletten: 3 Monate.
Kinecteen 27 mg, 36 mg, 54 mg Retardtabletten: 6 Monate.
6.4 Besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Aufbewahrung
Für dieses Arzneimittel sind keine besonderen Lagerungsbedingungen erforderlich.
6.5 Art und Inhalt des Behältnisses
HDPE-Flasche mit einem kindergesicherten Verschluss aus PP, der ein oder zwei Beutel mit Silikagel als Trockenmittel enthält.
Kinecteen 18 mg Retardtabletten: 28, 29, 30 oder 90 Retardtabletten.
Kinecteen 27 mg, 36 mg, 54 mg Retardtabletten: 28, 29, 30 oder 100 Retardtabletten.
Es werden möglicherweise nicht alle Packungsgrößen in den Verkehr gebracht.
6.6 Besondere Vorsichtsmaßnahmen für die Beseitigung
Keine besonderen Anforderungen.
7. INHABER DER ZULASSUNG
MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG
Kuhloweg 37
58638 Iserlohn
Deutschland
Telefon: (02371) 937-0
Telefax: (02371) 937-106
e-mail: info@medice.de
8. ZULASSUNGSNUMMER
Kinecteen 18 mg Retardtabletten:
95620.00.00
Kinecteen 27 mg Retardtabletten:
95621.00.00
Kinecteen 36 mg Retardtabletten:
95622.00.00
Kinecteen 54 mg Retardtabletten:
95623.00.00
9. DATUM DER ERTEILUNG DER ZULASSUNG/VERLÄNGERUNG DER ZULASSUNG
Datum der Erteilung der Zulassung:
04. August 2016
Datum der letzten Verlängerung der Zulassung: 02. Februar 2021
10. STAND DER INFORMATION
Juli 2023
11. VERKAUFSABGRENZUNG
Verschreibungspflichtig, Betäubungsmittel